Kaleidophon Ulrichsberg 2022 - "Die Bastion im oberen Mühlviertel am Rande des Böhmerwalds"
Vom 29. 04. bis zum 01. 05. konnte das Kaleidophon nach zweijähriger pandemiebedingter Liveabsenz wieder seine Pforten öffnen. Ein schönes Erlebnis ist es immer, wenn man durch den Tunnel die Katakomben des geschichtlichen Gemäuers hinabschreiten kann. An den drei Tagen erwartete die Community 9 Konzerte sowie eine Ausstellung.
Als Opener betrat das Kölner EMIßATETT von Elisabeth Coudoux die altehrwürdigen Bretter des Jazztempels. Auf der Suche nach Tönen und Klängen überspannt von den beiden Streichinstrumenten, dem Cello von Elisabeth Coudoux und dem Bass von David Helm, fügte sich die Stimme von Pegelia Gold großartig ein und intonierte dadurch als zusätzliches Instrument. Die smarte Bearbeitung der Snare Drum durch Etienne Nillesen verlieh in weiterer Folge mit der Posaune von Matthias Muche und dem Klavier und Synthesizer von Philip Zoubek dem Werk auch komplexe Strukturen.
Die Bearbeitung der Viola durch Judith Insell erzeugte mitunter im zweiten Set des Abends mit dem Titel JUMP OFF THIS BRIDGE fast nie gehörte Klänge, welche von Eli Asher an der Trompete wunderbar ergänzt wurden. Mit den ruhigen Tasten von Virg Dzurinka und dem extravaganten Schlagzeug- und Perkussionsspiel von Leonid Galaganov formte sich dann im Zuge der Darbietung des Quartetts ein Klangkörper.
Der erste Kaleidophontag wurde vom Auftritt des Meisterpianisten Craig Taborn überstrahlt. Mit seinem Soloprojekt SHADOW PLAYS begeisterte der Musiker aus Detroit. Mit hoher Intensität spannte der Kreativgeist einen Bogen zwischen Struktur und Improvisation, bedächtig, hypnotisch und impulsiv, und riss die Zuhörer*innen förmlich von den Sitzgelegenheiten, um diese dann beseelt in die Kälte der Nacht zu entlassen.
Das Duo BAARS BUIS eröffnete am Samstagabend den zweiten Festivaltag. Zwischen Ab Baars am Tenorsaxophon und Klarinette sowie Joost Buis an der Posaune entwickelte sich anfangs ein Zwiegespräch zwischen Klarinette und Posaune, um in weiterer Folge zu Kompositionen überzugehen. Duke Ellingtons und Herbie Nichols Werke sollten dabei im Mittelpunkt stehen. Eine kleine Anekdote am Rande, vorgetragen von Ab Baars: Dieser versuchte, die geschätzten Veranstalter*innen umzustimmen, in dem er diese bat, das Duo nicht einzuladen, falls Joost weiter darauf bestehen sollte, nur Werke von Herbie Nichols zu programmieren. Somit war der Weg frei zu Duke.
Ein Highlight der neueren Art im Tempel war danach die SOLO SUITE von Soizic Lebrat, worin man sich begleitet von den sphärischen Klängen des Violoncellos in einem intimen Klassiksaal wähnte. Es war eine Darbietung von besonderer Schönheit und es war einfach nur betörend.
Später näherte sich das Ensemble NIST-NAH dem Bühnenaufbau. Will Guthrie vereinte hier die Werkzeuge der indonesischen Gamelan-Musik, einer traditionellen Musikform von den Inseln Bali und Java mit Instrumenten wie Metallophonen, Handtrommeln, Gongs, mit formellen Drumsets, um in diese sehr rhythmischen, mitunter auch sehr meditativen Strukturen einzutauchen. Die Bühne war durch die zahlreichen Musiker*innen und die Instrumente gerammelt voll und erschien als ein Kunstwerk. Dargeboten wurde diese in unseren Breiten eher seltene Aufführung von einem internationalem Ensemble mit Prune Becheau, Charles Dubois, Thibault Florent, Colline Grosjean, Will Guthrie, Amelie Grould, Mark Lockett, Sven Michel, Lucas Pizzini und Arno Tukiman an den Perkussionen und Schlagzeugen.
Es war ein sehr ereignisreicher und inspirierender zweiter Tag und man war bereits in freudiger Erwartung der Leinölerdäpfel und des Neuburgers in der Kantine. Völlig unbemerkt von den geschätzten Festivalbesucher*innen schlichen sich derweil die Hintenberger Maibaumfreaks aus dem Vorort in das Ulrichsberger Ortszentrum. Die gewieften Nachbarn entwurzelten und entwendeten den zuvor unter großer Anteilnahme der heimischen Bevölkerung mit Pauken und Trompeten aufgestellten Maibaum der Ulrichsberger. Dieser erstrahlte am nächsten Morgen als zweiter Maibaum am Marktplatz der räuberischen Nachbargemeinde. Sehr amüsant war das.
Am Sonntag, dem letzten Festivaltag, eröffnete der großartige Kontrabassist Michael Formanek den Abend. Mit seinen IMPERFECT MEASURES spannte dieser einen Bogen von Jazzigem bis zu freier Improvisation, immer von feinem Ton begleitet.
Georg Gräwe an Klavier und Komposition mit IN A WHIRL war das bereits vorletzte Projekt dieser drei Tage. Ein wahrlich extravagant besetztes Trio entführte das Publikum auch abseits der Kompositionen in die Welten der freien Improvisation. Die Harfe von Sara Kowal entwickelte dabei eine völlig eigene Sprache, welche dieb13 an den Turntables immer wieder kunstvoll ergänzte.
Den Schlusspunkt setzten dann OHLMEIER/ KHROUSTALIOV/FISCHERLEHNER mit Lothar Ohlmeier an der Bassklarinette, Isambard Khroustaliov am Modular Synthesizer und am Computer sowie Rudi Fischerlehner an Schlagzeug und Perkussion. Freie Improvisation vermischte sich mit stark vorangetriebenen Rhythmen, tauchte dabei in das dichte elektronische Gewächs ein und verlieh dem diesjährigen Kaleidophon ein würdiges Ende.
Zu gleicher Zeit fand auch die Ausstellung „gehen und denken“ von Gabriele Berger in den Räumlichkeiten der Galerie statt. Hier wurde der fast 40-jährige Schaffensprozess der Künstlerin mittels eines Filmprojektes, diversen Steininstallationen und Arbeiten auf Papier wunderbar dokumentiert.