#notallmen
In Gesprächen mit Männern bin ich immer von dieser Unbekümmertheit beim Ausgehen fasziniert, die mir so fremd ist. Keine Gedanken daran zu verschwenden, ob etwas passieren kann. Keine kritischen Situationen einplanen müssen, keine Ab- wehrmechanismen entwickeln, keinen Freund:innen Bescheid geben, keine hilfesuchenden Blicke, während einem jemand auf der Tanzfläche zu nahe kommt. All die Codes und Automatismen, die weiblich gelesene Personen entwickelt haben und in denen sie sich oft blind verstehen und zu Hilfe eilen. All das ist den Männern fremd. Wie unbekümmert muss es sich anfühlen?
Es ist Samstag und ich gehe auf ein Konzert. Die Überlegungen beginnen schon zuhause. Was zieh ich an? Es soll möglichst unauffällig sein. Wohlfühlen will ich mich, aber ich darf dabei nicht zu gut aussehen – besser gesagt „zu weiblich“.
Auf dem Konzert angekommen, scanne ich schon beim Eingang mein Umfeld. In wenigen Sekunden weiß ich, welche Menschen ich meiden muss, um nicht in unangenehme Situationen zu geraten. Wenigstens das kann man den Männern zugutehalten: Sie sind eingebildet genug, um ihre toxische Männlichkeit auf dem Serviertablett zu präsentieren.
Gut, die Personen sind ausfindig gemacht, weiter gehts mit Unauffällig-Verhalten. Den Abend verbringe ich zu einem Großteil damit, aus dem Blickwinkel zu beobachten, wo sich bestimmte Perso- nen/Grüppchen aufhalten, um diese dann unbemerkt zu umgehen. An dieser Stelle eine Frage an die lesenden Männer: Wann musstet ihr das letzte Mal einer potenziell unangenehmen Person ausweichen? (Persönliche Konfliktpersonen ausgenommen, nanonaned)
Vorbeigeschlängelt an der Menschenmasse reihe ich mich in die Bar-Warteschlange ein. Ja nicht ansprechbar oder „alleine“ wirken. In meiner Bemühung unterläuft mir ein Fehler, ich streife einen Blick und dann höre ich es schon: „Waßt, mei Freind feiert heid Geburtstog und wir saufn uns heid o.“ Verhaltenes Nicken meinerseits. „Wos trinkstn du? Schau, do is a. Des is des Geburtstogskind.“ Verbissenes Lächeln. „Mogst eam ned a Getränk ausgebn? Waßt eh, von so ana schenen Frau kriagt ma jo gern a Geschenk.“ Ich lehne ab. „Geh, jetzt sei ned so. Gratulier eam wenigstens zum Geburtstog.“ Mein Blick fällt auf das Geburtstagskind, das ganz offensichtlich keine Notiz von „unserem“ Gespräch genommen hat und entscheide mich dagegen. Endlich komm ich an die Reihe und bestelle ein großes Bier. Währenddessen bleiben meine Ohren wachsam. Mein ganzer Körper konzentriert sich auf die Situation hinter mir, während ich mit einer Hand das Geld über den Tresen strecke. „Jo, schau. Wos hostn du do fiar a Tattoo? Da Bezi hot a a Tattoo. Soi ers da moi zagn? Oba i waß ned, ob des jetzt jugendfrei is, waun er da des zagt.“ Die Gruppe lacht. 8 Augen sind auf mich gerichtet und warten gespannt auf eine Reaktion. Ich gehe wortlos.
Im Konzertsaal atme ich die Anspannung weg und versuche, mich nicht zu viel zu ärgern. Die Musik spielt, die Stimmung ist toll und ich tanze. Mein ganzer Körper bewegt sich, ich lass mich zur Musik treiben. Und selbst in dieser Situation, die ich komplett genieße, ist ein Teil von mir stets wachsam. Die Gruppe Männer befindet sich währenddessen übrigens rechts vorne im Konzertsaal. Natürlich weiß ich das, weil ich es beobachtet habe. Zwischen mir und den Männern beweget sich eine unförmige Menschenmasse. Da ist viel Abstand.
Zu späterer Uhrzeit steigt bei allen das Betrunkenheitslevel. Ich tanze immer losgelöster und bin gerade einfach sehr zufrieden. Ein Mann bewegt sich auf mich zu. Ich weiß nicht, wie ich ihm ausweichen kann. Er wankt betrunken durch die Menge. Vielleicht biegt er ja gleich ab, denk ich mir, bleibe an meinem Platz und versuche, den Takt nicht zu verlieren. Er biegt nicht ab. Er biegt eher direkt in mich hinein. Tanzt mich derart unkoordiniert an, dass sein ganzer Körper gegen meinen prallt. Er taumelt ein paar Schritte, fängt sich wieder und versucht erneut, mich anzutanzen. Unbemerkt versuche ich in einer Tanzbewegung Distanz zu schaffen und gehe ein paar Schritte zurück. Aber der Mann verfehlt sein Ziel nicht. Wieder tanzt er um mich herum und legt einen Arm um meine Schulter. „Duuuu. Ich möchte bitte alleine tanzen.“ Meine freundlich formulierte Abweisung muss ich ihm mehrmals ins Ohr schreien. Währenddessen greift er mir wie selbstverständlich um die Hüfte, um „besser zu hören“. Er schüttelt den Kopf, reibt sich an meinem Bein und wirft die Hände in die Luft. Ich fühle mich dermaßen bedrängt, also entziehe ich mich der Situation. Ich gehe.
Die nächste Überlegung ist, wie ich nachhause komme. Nehme ich ein Taxi, was das Risiko eines übergriffigen Taxifahrers birgt, oder gehe ich die 30 Minuten auf der wenig belebten Straße nachhause? Beide Optionen sind mit einem Risiko verbunden. Es ist reine Glückssache, wie ich mich entscheide und ob ich gut nachhause komme oder eben nicht.
Den Abend lass ich mir trotzdem nicht vermiesen. Dieser Abend ist einer von vielen gewesen. Er ist austauschbar mit jeder anderen Party, jedem anderen Konzert oder Fortgehen. Als weiblich gelesene Person bist du es gewohnt, dass dein Abend so aussieht. Und deswegen hast du gelernt, dir die Laune nicht nehmen zu lassen, die Situationen halbwegs gut zu lösen und dich nicht länger gedanklich damit aufzuhalten.
Natürlich können wir an dieser Stelle über #notallmen diskutieren. Aber auch, wenn Männer nicht direkt belästigen oder übergriffig sind, sind sie Teil des Zustands. Wenn sexualisierte Übergriffe (ob als Kommentar, Witz oder tätlicher Übergriff) abgetan werden, als würden sie „nur die Eine“ treffen, dann ist das Bullshit. Es ist ein strukturelles Problem, das alle weiblich gelesenen Personen betrifft. Und es ist für viele unser Alltag.
Also, verehrtes männliches Geschlecht, wenn ihr euch nicht zu sexistischen Kommentaren von Freund:innen und Kolleg:innen äußert, nicht zuhört, den Fehler bei der Betroffenen sucht, keinen Abstand haltet oder denkt, das Thema beträfe euch nicht, dann seid ihr Teil des Problems.
Passender Programmhinweis: Fr, 14. April, 20:00 „Körperbewertung 24/7“ aus der Reihe „The Future Starts Now“ u. a. mit Lesungen von Jaqueline Scheiber / minusgold: „ungeschönt“ und Tamara Imlinger, plus Diskussion und DJ Set von Abu Gabi